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Abgesehen von der den Menschen vor allen anderen Tieren auszeichnenden Eigenschaft des Selbstbewußtseins, welcher wegen er ein vernünftiges Tier ist..., so wird der Hang: sich dieses Vermögens zum Vernünfteln zu bedienen, nach gerade methodisch, und zwar bloß durch Begriffe zu vernünfteln, d.i. zu philosophieren; darauf sich auch polemisch mit seiner Philosophie an anderen zu reiben, d.i. zu disputieren, und, weil das nicht leicht ohne Affekt geschieht, zu Gunsten seiner Philosophie zu zanken, zuletzt in Massen gegen einander (Schule und Schule als Heer gegen Heer) vereint offen Krieg zu führen; – dieser Hang, sage ich, oder vielmehr Drang, wird als eine von den wohltätigen und weisen Veranstaltungen der Natur angesehen werden müssen, wodurch sie das große Unglück, lebendigen Leibes zu verfaulen, von den Menschen abzuwenden sucht.
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Dieses Thema hat 1 Antworten
und wurde 788 mal aufgerufen
 systemische psychotherapie
Sabine Klar Offline



Beiträge: 20

06.03.2007 17:26
die heilige Kuh Arbeit Antworten

Die heilige Kuh Arbeit (von Verena Kuttenreiter für die Netzwerke der ÖAS geschrieben)

Systemische TherapeutInnen sind, auf Grund ihrer Referenz auf den Konstruktivismus zur Selbstreflexion verpflichtet. Viele blinde Flecken werden beleuchtet, „Wahrheiten" sind da, um umgestoßen zu werden - nur eines scheint bemerkenswert unantastbar: Die Annahme, dass viel Arbeiten gut ist! Nun ist es natürlich nicht so, dass man nicht wüsste, dass das Workaholic-Dasein nicht das gesündeste ist, aber das geheime perverse Genießen (nach Slavoj Zizek) scheint doch gebunden zu sein an Erzählungen, wie voll die Privatpraxis sei, wie viele Stunden man um wie viel Geld arbeite, wo man welchen Workshop halte, welches neue Projekt man ins Leben rufe bzw. wo man seinen Senf dazugegeben habe. Bemäntelt wird die Praxis des Vielarbeitens in erster Linie mit Unabkömmlichkeit und Pflicht zur Hilfeleistung (bei den KlientInnen) oder in zweiter Linie mit eigenem Interesse. Man identifiziert sich eben so mit dem Beruf, dass es mehr ist, nämlich Berufung! Da geht sich daneben kaum was anderes aus.

Hallooo, Psychotherapie ist doch auch nur Erwerbsarbeit!! Und als Normierungs- und Besänftigungsveranstaltung (ja, trotz oder genau wegen vermeintlicher „Kreativität" und „Unangepasstheit" von uns TherapeutInnen) gut eingepasst ins kapitalistische Wirtschaftssystem. Dieses verkauft uns Berufe als Berufung und lässt uns begeistert uns selbst vergessen – ich frag mich schon, wer uns das einmal dankt ... da mir niemand einfällt, danke auch.

Verena Kuttenreiter

Zur „heiligen Kuh Arbeit“ (von Sabine Klar als Antwort darauf)

Ich verstehe die Intention deines Beitrags als Appell gegen die Leistungsideologie – und kann ihm insofern zustimmen. Andererseits reizt er mich auch zum Widerspruch – und da ich als frisch gebackenes Redaktionsmitglied hier den Mund voll nehmen soll: bitte sehr – hier ist die Reaktion. Gleich zu Beginn: der Konstruktivismus ist es sicher nicht, der mich so ausdauernd zur Selbstreflexion verpflichtet hat. Im Gegenteil – er verleitet aus meiner Sicht eher dazu, sich vieles leicht zu machen unter dem Titel „es lässt sich ja doch nichts wirklich verstehen – es ist ja alles nur ein Konstrukt“ (im narrativen Kontext ersetzbar durch „nur eine Geschichte“). Ich erinnere mich daran, dass eines der positiven Kriterien therapeutischer Arbeit in der Zeit meiner Ausbildung darin bestand, sparsam und ja nicht zu viel zu arbeiten, um die Klienten in ihrer Eigenaktivität nicht allzu sehr zu stören und mit fremden Fragen bzw. Gedanken zu belästigen. Mit der Selbstreflexion ist es also unter SystemikerInnen nicht allzu gut bestellt – obwohl wir sie uns werbewirksam auf die Fahne schreiben.

Zur Annahme, dass viel Arbeiten gut sei: In deiner Argumentation kommt das Motiv des „Geld verdienen Müssens“ nicht vor, obwohl du Psychotherapie als bloße Erwerbsarbeit bezeichnest. Also ich glaube, dass die meisten von uns unter anderem deshalb so viel arbeiten, weil wir uns sonst unser Leben und unsere Praxisräume (inkl. Steuern, Abgaben usw.) nicht leisten könnten und sich v.a. die hohen Investitionen in die Ausbildung nicht lohnen würden. Interessanter Weise sprechen fast nur Studierende von der Mühe des Geld Heranschaffens. Bei den angeblich „etablierten“ fertigen Psychotherapeutinnen hat dieses Thema wenig Raum – ja ich habe fast den Eindruck, es sei anrüchig zuzugeben, dass man kein Geld hat und deshalb viel arbeiten muss. Es spielt als Motiv im kollegialen Diskurs kaum eine Rolle. Geredet wird über Erfolg – dass die Praxis voll ist, dass die Seminarteilnehmer begeistert waren, dass man einen „Wichtigen“ bei einem Kongress im Ausland kennen gelernt hat, dass man für dies oder jenes angefragt wurde usw. usf.. Misserfolge scheinen tabu zu sein – vielleicht ist es ein Zeichen, als TherapeutIn nicht so „gut“ zu sein, wenn man mit dem eigenen existenziellen Auskommen zu ringen hat? Jedenfalls beobachte ich regelmäßig, dass KollegInnen mit ausgeprägterem Imponiergehabe dann auch fachliche Kompetenzen zugesprochen werden, die damit eigentlich gar nichts zu tun haben.

Ich denke, dass das Gerede über die viele Arbeit den „Geruch des Misserfolgs“ gar nicht erst aufkommen lassen will. Man hat Zeit und Geld in eine Ausbildung gesteckt, die Familie hat das alles mitgetragen und Hoffnungen entwickelt, dass es nun besser werde – nun sitzt man da, wartet auf Anrufe von KlientInnen, versucht sich da und dort zu bewerben oder den Job zu behalten. Wenn KlientInnen auftauchen, erscheint ihnen das zu Bezahlende viel zu sein – man kommt ihnen vielleicht entgegen und vergleicht sich intern mit dem Wert anderer Dienstleister (Friseure, Masseure usw. nimmt man halt nicht so oft in Anspruch). Klienten leisten sich eine Psychotherapie entweder weil sie müssen (Krankheit, Leiden) – dann soll es aber auch helfen, die eigene Lage besser zu ertragen. Oder sie leisten sich uns im Sinn eines Luxus (Wellness- und Persönlichkeitsentwicklungs-Alternative) – dann soll es sich wenigstens gut anfühlen. Aus dem zu stopfenden finanziellen Loch der TherapeutInnen und der Not bzw. den Ansprüchen der KlientInnen ergibt sich jedenfalls eine gewisse Spannung. Wir brauchen Klienten – und deshalb auch Überweiser, die uns welche schicken. Und Überweiser müssen den „Geruch des Erfolges“ an uns wahrnehmen, um ausreichend Vertrauen in unser Können zu haben. Im Dienst des Gerüchts, wir seien „gut“ betreiben wir eine Menge Imponiergehabe: Wir sind engagiert (das heißt, es geht uns nicht bloß ums Geld - darüber sind wir erhaben). Wir sind wichtig (das heißt, alle wollen nur uns - wir sind unabkömmlich). Wir sind v.a. methodisch interessiert (das gibt uns den Geruch der Professionalität). Viel arbeiten um wenig Geld gilt als eigenartig – es muss schon durch erfolgreiche Projekte gerechtfertigt sein. Ich vertrete davon ausgehend die These, dass das Gerede über die „viele Arbeit“ nichts damit zu tun hat, wie viel gearbeitet wird. Ganz sicher hat es nichts mit Altruismus zu tun, damit sich selbst im Engagement für andere zu vergessen – im Gegenteil: mittels dieses Geredes erinnert man sich und andere an sich selbst und die eigene Wichtigkeit. Und der Dank, der laut deiner Aussage ausbleiben wird - ich denke, wir haben unseren Lohn bereits bekommen, wenn uns andere ob unseres viel Arbeitens für toll halten. Welche sonstigen Dienstleister bekommen denn schon Dank? Ich finde, dass wir von unseren KlientInnen jedenfalls mehr zurückbekommen als das Gros von ihnen.

Meiner Meinung nach sollten wir alle weniger arbeiten und weniger Imponiergehabe betreiben – und uns stattdessen ganz simpel mit der Qualität unserer konkreten Therapien befassen. Doch da bin ich sicher wieder im Sinn meiner berufsethischen Codierung missionarisch unterwegs. Die vom Kapitalismus geprägte Umgebung produziert am laufenden Band Neid-Dynamiken und Konkurrenzgefühle untereinander. Es wird etwas zur Mangelware gemacht (z.B. Klienten, Erfolg, Information, Arbeit), sodass der Eindruck entsteht, wenn es der andere hat, kann ich es nur mehr unter Anstrengung bekommen bzw. erwerben. Dahinter steckt natürlich wieder einmal die Angst – in diesem Fall vor dem „Geruch des Misserfolgs“. Es geht dann nicht mehr um die Arbeit, die Klienten oder das damit konkret verdiente Geld, sondern um den Vergleich mit dem anderen, möglicherweise Erfolgreicheren. Das alles wird natürlich selten zugegeben – es würde doch der eigenen werbewirksamen Selbstdarstellung im kollegialen Umfeld widersprechen.

Ich glaube nicht, dass dieses Muster zu unterbrechen ist, indem man weniger arbeitet oder Psychotherapie als „bloße Erwerbsarbeit“ sieht. Angesichts diverser globaler Probleme wird heutzutage mehr und mehr klar, dass das kapitalistische Gesellschaftssystem seine Grenzen erreicht hat – bzw. in seiner Wirkung durch staatliche und über-staatliche Regelungen begrenzt werden muss. Bestimmte Werte (im Sozial-, Umwelt-, Gesundheitsbereich z.B.) müssen vor der dem Kapitalismus inhärenten Dynamik geschützt werden, alles zur vermarktbaren, Mehrwert produzierenden Mangelware verkommen zu lassen. Psychotherapie ist von Gesetz wegen ein „freier Heilberuf“ – das gilt in dieser gesellschaftlichen Umgebung an sich schon als etwas Ungewöhnliches. Wir beschäftigen uns in einem Bereich mit „Heilen“, der schwer zugänglich und wenig kontrollierbar ist und außerdem kann uns inhaltlich niemand dabei dreinreden. Im meiner Diktion handelt es sich um Arbeit in einem „Zwischenraum“ (hier verstanden als nicht festgelegter, sozusagen bedeutungs-schwangerer Raum), in dem neue Werte geboren werden, in dem sich das Denken um anderes konzentrieren und auf andere Weise bewegen kann als üblich. Dieser Bereich wird uns von der Gesellschaft eingeräumt und unterliegt deshalb natürlich auch aktuellen gesellschaftlichen Einflüssen. Er birgt aber als Potential auch eine Freiheit, die wir in unserem Sinn und im Sinn unserer Klienten weiter entwickeln könnten, wenn wir uns selbst frei halten und frei machen.

Davon ausgehend denke ich, dass wir um manche Bereiche Grenzen ziehen müssen – um den Zwischenraum der Psychotherapie z.B., aber auch um den Innenraum der menschlichen Person. Wie man inzwischen wahrscheinlich zur Genüge weiß, hege ich ein tiefes Misstrauen gegenüber den diversen postmodern geprägten Identitätsvorstellungen, auf die SystemikerInnen da und dort zurückgreifen (relationale Identität; Auflösung der Person im Gerede usw.), weil diese eine Art freie Marktwirtschaft der Ideen über das Selbst in den Raum stellen und – metaphorisch gesprochen - so tun als wäre die Person ein Konzern. Philosophisch gesehen ist das vielleicht interessant, politisch betrachtet halte ich es aber für gefährlich. Ich denke, dass es der Zwischenraum der Psychotherapie möglich machen könnte, im Sinn einer personinternen „staatlichen“ Regelung eigene Werte zu finden und zu festigen um sich gegenüber den allgegenwärtigen Ökonomisierungsdynamiken eine gewisse Gestaltungsfreiheit zu bewahren. Dazu ist es sicher nicht nötig, allzu viel zu arbeiten. Dazu ist es schon gar nicht nötig, sich andauernd als fleißig oder erfolgreich zu beschreiben. Was dazu nötig ist, wird wohl jeder von uns selbst herausfinden müssen.



DMRosenauer Offline



Beiträge: 8

07.03.2007 18:29
#2 RE: die heilige Kuh Arbeit Antworten
ebenso in den netzwerken von mir als Replik auf Verena K. erschienen:

Nehmen wir an, der alte Sigmund hatte Recht. Nehmen wir also an, dass Psychotherapie dazu da sei, dem Menschen dabei zu helfen, wieder liebes-, genuss- und arbeitsfähig zu werden. Nehmen wir weiters an, dass der Urvater der Psychotherapie damit vor allem eins meinte: Selbstverwirklichung, Lebensqualität. Gehen wir mit diesen Annahmen ein Schritt weiter zurück in der Weltgeschichte. Menschengeschichte. Wo komme ich hin: Ins Paradies der Nichtarbeit. Da waren die alten Griechen, die nicht-arbeitend im Schatten ihrer heiligen Stätten das Wort liebten und die Philosophie erfanden. Da waren deren Frauen, die sich auch mit lustvolleren Dingen beschäftigten als der müßigen Arbeit. Nur was war da noch? Sklaven. Oops. Na gut: Szenenwechsel. USA, vor der bösen Sezession. Als die Welt noch in Ordnung war und die Südstaatler noch zu leben wussten, indem sie schöne Häuser bauten, in denen sie dann eisgekühlte Limonaden und Sandwiches verzehrten. Aber wer war auf den Baumwollfeldern, die die Geldsäcke der Weißen stopften? Ohje. Schon wieder Sklaven. Weiterer (und letzter Szenenwechsel): Eine Wohnung eines Neubauer Bobos. Der Dreck stapelt sich von der letzten Party. Die Schampusflaschen liegen neben den Barolo-Gebinden in der Ecke. Die Aschenbecher sind übervoll und der Mistkübel detto. Ein Maschinengeräusch füllt das Loft und es wird sauber gemacht. Aber halt! Wer putzt? Eine polnische Studentin, die sich ihren Lebensunterhalt schwarz mit Schmutzarbeit verdient. Während der Bobo einen Artikel schreibt.

Mist. Dabei wollte ich doch einen Artikel über die Arbeit schreiben und rausgekommen ist einer über Sklaverei, Ausbeutung und Geld. Mir scheint, dass wenn wir nicht wollen, dass Menschen sich erniedrigen und unsere Drecksarbeit machen, müssen wir es selbst tun. Der Traum vom Leben ohne Arbeit endet scheinbar dort, wo ethische Grenzen uns davon abhalten, das was zu tun ist anderen aufzutragen. Denn selbst im Paradies war es die doofe Schlange, die dem Menschen den Apfel reichte. Da hat es schon begonnen: Das Zeitalter der dienstbaren Geister, die vom Intellekt unterdrückt werden. Wem tun wir Gutes, wenn wir in unseren Therapien die Menschen dazu bringen sich von der Knechtschaft der Arbeit zu befreien? Den KlientInnen zuletzt. Denn in den Denkerwerkstätten ist es leicht, gerechte Gesellschaften zu entwerfen - solange Maria den Mist rausträgt.

soviel dazu

Dominik

 Sprung  

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