Abgesehen von der den Menschen vor allen anderen Tieren auszeichnenden Eigenschaft des Selbstbewußtseins, welcher wegen er ein vernünftiges Tier ist..., so wird der Hang: sich dieses Vermögens zum Vernünfteln zu bedienen, nach gerade methodisch, und zwar bloß durch Begriffe zu vernünfteln, d.i. zu philosophieren; darauf sich auch polemisch mit seiner Philosophie an anderen zu reiben, d.i. zu disputieren, und, weil das nicht leicht ohne Affekt geschieht, zu Gunsten seiner Philosophie zu zanken, zuletzt in Massen gegen einander (Schule und Schule als Heer gegen Heer) vereint offen Krieg zu führen; – dieser Hang, sage ich, oder vielmehr Drang, wird als eine von den wohltätigen und weisen Veranstaltungen der Natur angesehen werden müssen, wodurch sie das große Unglück, lebendigen Leibes zu verfaulen, von den Menschen abzuwenden sucht. Immanuel Kant
in diesem sinne: willkommen im online forum therapy meets philosophy des iam
Wenn Träume fliegen lernen ist ein vielfach ausgezeichnetes Filmdrama aus dem Jahr 2004 über die Entstehung des Klassikers Peter Pan mit Johnny Depp in der Hauptrolle. Es erhielt den Oscar für die Beste Filmmusik. London im Jahr 1903. Der Theaterautor James M. Barrie hat trotz seiner fantastischen Ideen nur mäßigen Erfolg mit seinen Theaterstücken und auch sein Leben verläuft eher unspektakulär. Immer mehr distanziert er sich von seiner Ehefrau, die er nicht mit in seine Fantasiewelten nehmen kann. Eines Tages lernt er die junge Witwe Sylvia Davies und ihre vier Söhne kennen. Das Umfeld von Barrie, allen voran seine Ehefrau, und auch Sylvias Mutter missbilligen sein Interesse an der jungen Mutter, dennoch freundet er sich mit ihr und ihren Kindern an. Er verbringt viel Zeit mit den Davieskindern, verkleidet sich, bringt ihnen Kunststücke bei und erfreut sich mit ihnen an immer neuen Geschichten, indem er Welten voller Fantasie mit Cowboys und Indianern oder Piraten erschafft. Besonders den jungen, verschlossenen Peter hat er in sein Herz geschlossen und verwendet dessen Namen für die Titelfigur seines neuen Stücks, in welchem er die Abenteuer mit den Kindern verarbeitet. Zu Beginn der Proben konfrontiert Barrie die Schauspieler mit ungewöhnlichen Ideen. Sie sollen beispielsweise über die Bühne fliegen, mit Feen sprechen oder Tierkostüme tragen, doch trotz anfänglichen missbilligenden Blicken wird Peter Pan ein voller Erfolg – v.a. auch deshalb, weil er bei der Uraufführung Karten an Waisenkinder verschenkt. Diese verstehen das Stück und reißen die Erwachsenen mit. Peters Mutter Sylvia erkrankt schwer, was Peters Glauben und seine Fantasie auf eine harte Probe stellt, doch dank Barrie bewahrt er sich ein Stück Fantasie, selbst als sie stirbt. Diese Handlung könnte sicher auch auf sehr kitschige Weise aufbereitet werden. Ich sehe die Stärke dieses Films u.a. darin, dass er mit diversen Klischees spielt, ihnen aber nicht verfällt. Man erfährt darin den Wert selbst-erschaffener Welten und ungewöhnlicher Selbsterfindungen bei der Bewältigung von Krisen – ein Gustostück für TherapeutInnen, die den narrativen Konzepten verfallen sind.
liebe kollegInnen, der termin für unser nächstes treffen ist
dienstag, der 31. märz,
wie immer um 18.30 in der praterstraße.
protokoll 11. februar 2009
beim letzten treffen waren anwesend: sabine kirschenhofer, michaela mühl, marion herbert und verena kuttenreiter
wir haben auf sabines vorschlag hin den artikel "straight therapists working with lesbians and gays in family therapy" (auf englisch!) vorher gelesen und dann diskutiert. wobei wir einhellig der meinung waren, dass die autorin, anne c. bernstein, viele punkte, an die frau/man als heterosexuelle therapeutin nicht denkt, gut herausgearbeitet hat.
bernstein weist darauf hin, dass wir sogar als lesbische oder schwule therapeutInnen und erst recht als heterosexuelle therapeutInnen in einer homophoben gesellschaft der homophobie nicht entkommen können. sie schreibt u. a. über gründe, warum sich lesbische oder schwule paare für heterosexuelle therapeutInnen entscheiden könnten und wir diskutierten anhand ihrer darstellung länger die frage der transparenz der eigenen sexuellen ausrichtung (die für viele schwule/lesbische paare eine rolle spielt bei der wahl der therapeutIn).
wichtig auch ihr hinweis, dass wir uns als heterosexuelle therapeutInnen nicht nur neugierig von unseren schwulen/lesbischen klientInnen über ihre lebenswelt berichten lassen sollten, sondern uns auch selbst informieren sollten, wenn wir mit lesbischen/schwulen klientInnen arbeiten.
nachdem marion angemerkt hat, dass homosexualität und sado-masochismus noch im icd-9 als störung klassifiziert waren (hab ich das richtig in erinnerung?) sind wir dann für einige zeit zu sado-masochistischen beziehungen abgedriftet. einige von uns lernten den begriff 24/7 kennen und mit der äußerung, "dass es mich nicht wundert, dass sadomasochismus als störung klassifiziert wird in einem system, wo auch tics (ich kann jetzt ergänzen: oder stottern, oder fetischismus, voyeurismus und und und ...) als störung klassifiziert werden" katapultierte ich mich ins eck völlig danebener, rückständiger störungsfuzzis und ich erntete einige sager, die ich jetzt lieber nicht zitieren möchte. habe übrigens gerade nachgeschaut: sadomasochismus ist immer noch (also auch im icd-10) als störung klassifiziert. zitat: "gering ausgeprägte sadomasochistische stimulation kommt zur steigerung einer im übrigen normalen sexualität häufig vor. diese diagnostische kategorie soll nur verwendet werden, wenn die sm betätigungen die hauptsächliche quelle der erregung oder für die sexuelle befriedigung unerlässlich sind".
habe anlässlich dieser diskussion als vorschlag für das nächste treffen einen schönen text gefunden von jessica benjamin mit dem titel "herrschaft - knechtschaft: die phantasie von der erotischen unterwerfung". analytisch, angenehm zu lesen, hoffentlich kontroversiell und natürlich mit bezug auf das geschlechterverhältnis. ich werde den text kopieren und in meinem fach im sekretariat vom ief hinterlegen.
Big Fish ist ein Fantasy-Drama des US-amerikanischen Regisseurs Tim Burton aus dem Jahr 2003, nach dem gleichnamigen Roman von Daniel Wallace. Größtenteils erzählt er in fantastisch anmutenden Rückblenden das Leben Edward Blooms, das Kernthema des Films aber ist der Konflikt zwischen dem Fabulierer Edward und dessen eher nüchternem Sohn William. Seit frühester Kindheit hat dieser Vater seinem Sohn "Heldengeschichten" über sich selbst und sein angeblich abenteuerliches Leben erzählt - er war eben ein "großer Fisch", ein mutiger Kerl, einer der auch während der Geburt seines Sohnes mit einem Riesenfisch rang und ihn dann schwimmen ließ, um mit dem aus dem Maul geretteten Ehering nach Hause zu eilen und den Neugeborenen in die Arme zu nehmen. Der wütende Sohn sucht seit Jahren nach dem "wahren" Vater, nach seinem "wirklichen" Leben und findet beides nicht in der Fülle der Geschichten. Schließlich gewinnt er durch eine Nebenbemerkung des Hausarztes über die echte Geschichte seiner Geburt Boden unter den Füßen, sodass er den Vater als das nehmen kann, was der halt ist - ein phantasiebegabter Geschichtenerzähler. Der Film ist berührend, phasenweise auch ärgerlich und kann zu vielen Diskussionen darüber führen, welche Relevanz die Wahrheit von Selbst- und Lebenserzählungen angesichts dessen hat, dass man es immer mit einem Autor zu tun hat, der genau in dem präsent und erlebbar wird, was er tut. Er ist aus meiner Sicht ein Film für all jene, die den narrativen Ansatz in der systemischen Therapie besser verstehen wollen.
Tideland ist ein kanadisch-britisches Filmdrama von Terry Gilliam aus dem Jahr 2005. Es ist eine Verfilmung eines Romans von Mitch Cullin. Nach dem Drogentod ihrer Mutter zieht die kleine Jeliza-Rose mit ihrem Vater Noah auf die Farm seiner Kindheit. Als auch Noah stirbt, nachdem er sich einen Heroinschuss gesetzt hat, ist Jeliza-Rose allein in dem verfallenen Haus mit der langsam verwesenden Leiche ihres Vaters (den sie jedoch behandelt, als sei er noch lebendig) und ihren einzigen Freunden, ein paar abgetrennten Puppenköpfen. Bei ihren Streifzügen durch die Umgebung trifft sie auf die unheimliche, hexenartige Dell und deren geistig zurückgebliebenen Bruder Dickens, die in einem ebenfalls abgelegenen Haus in der Nähe wohnen. Dickens, der als Kind eine missbräuchliche Beziehung zu Jeliza-Roses Großmutter erfahren hatte, lebt, wie das kleine Mädchen, in einer Traumwelt. Zwischen Jeliza-Rose und Dickens entwickelt sich eine kindliche Liebe, während Dell, die sich auch auf das Ausstopfen von toten Menschen versteht, sich ihrerseits wieder mit ihrer Jugendliebe Noah vereint sieht. Der Film ist gleichzeitig schrecklich, lustig, berührend und lehrreich für TherapeutInnen, die an den sehr kreativen Erlebnisweisen und Umgangsformen von Kindern in traumatisierenden Situationen und an der Uneindeutigkeit von verrückt machenden Lebenslagen interessiert sind. Er schillert und lässt auf mehreren Ebenen nicht zur Ruhe kommen. Darüber hinaus ist die schauspielerische Leistung der DarstellerInnen einzigartig.
Dies ist aus meiner Sicht ein Film für all jene, die den narrativen Ansatz in der systemischen Therapie besser verstehen wollen:
Big Fish ist ein Fantasy-Drama des US-amerikanischen Regisseurs Tim Burton aus dem Jahr 2003, nach dem gleichnamigen Roman von Daniel Wallace. Größtenteils erzählt er in fantastisch anmutenden Rückblenden das Leben Edward Blooms, das Kernthema des Films aber ist der Konflikt zwischen dem Fabulierer Edward und dessen eher nüchternem Sohn William. Seit frühester Kindheit hat dieser Vater seinem Sohn "Heldengeschichten" über sich selbst und sein angeblich abenteuerliches Leben erzählt - er war eben ein "großer Fisch", ein mutiger Kerl, einer der auch während der Geburt seines Sohnes mit einem Riesenfisch rang und ihn dann schwimmen ließ, um mit dem aus dem Maul geretteten Ehering nach Hause zu eilen und den Neugeborenen in die Arme zu nehmen. Der wütende Sohn sucht seit Jahren nach dem "wahren" Vater, nach seinem "wirklichen" Leben und findet beides nicht in der Fülle der Geschichten. Schließlich gewinnt er durch eine Nebenbemerkung des Hausarztes über die echte Geschichte seiner Geburt Boden unter den Füßen, sodass er den Vater als das nehmen kann, was der halt ist - ein phantasiebegabter Geschichtenerzähler. Der Film ist berührend, phasenweise auch ärgerlich und kann zu vielen Diskussionen darüber führen, welche Relevanz die Wahrheit von Selbst- und Lebenserzählungen angesichts dessen hat, dass man es immer mit einem Autor zu tun hat, der genau in dem präsent und erlebbar wird, was er tut.
Nach der Lektüre des Beitrags von Martin Sellner bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich hier eigentlich kritisiert oder gelobt werde. Denn natürlich hat er damit auch recht: ich bin teilweise auch einfach zu faul, mir einen Überblick über die Fülle der Publikationen zu verschaffen, die systemische Methoden beschreiben. Ich mache stattdessen lieber etwas anderes – stundenlang mit einem Philosophen über Fälle diskutieren, an denen wir gemeinsam arbeiten; jahrelang an irgendwelchen eher obskuren, wenn auch tendenziell eigenständigen Grundkonzepten kauen; mich in unvereinbaren geistigen Umgebungen bewegen; im Sinn der Transparenz in Form von Skripten darstellen, wie ich therapeutisch arbeite und was ich davon ausgehend unterrichte. Natürlich verbringe ich auch lieber wochenlang Rückzugszeiten auf unserer Almhütte und mähe das Gras, reguliere einen Bach, gehe „wild“ – und lerne daraus. Ich kann nicht alles – das wird mir immer mehr bewusst. Ich kann mich auch nicht mehr für alles interessieren, meine Hirnkapazitäten geraten dann an ihre Grenzen. Methodische Hinweise verstellen mir persönlich den Blick auf Menschen und hindern mich daran, im jeweiligen Moment kreativ und ganz da zu sein. Vielleicht ist das nur bei mir so - da ich aber mein eigenes Werkzeug bin, muss ich auf meine Eigenheiten achten. „Fleiß“ war jedenfalls nichts, das mir geholfen hat, eine bessere Therapeutin zu werden – er konzentriert mich zu sehr auf mich selbst und meine Leistung und zu wenig auf mein menschliches Gegenüber. Trotzdem kann ich gut nachvollziehen, was Martin Sellner sagt. Als Psychotherapeutin will ich wissen, was ich tue – es muss mir bewusst sein. Als Lehrtherapeutin sollte ich es zusätzlich beschreiben und vermitteln können. Wenn ich mir erlaube, keine methodische Fachliteratur zu konsumieren, bedeutet das nicht, dass ich nichts von anderen lernen kann und muss. Die Diskussion erinnert mich an jene Anfang der 90er Jahre, wo wir uns über die Position des „Nicht-Wissens“ auseinandersetzten und jene Anfang des Jahrhunderts, in der ich mich über die „Beliebigkeitshaltung“ der SystemikerInnen aufregte. Ich vertrete dabei immer noch folgende Meinung: Wenn ich im Grund nichts weiß, bedeutet das nicht, dass ich nichts wissen will. Wenn sich unsere Welt als konstruiert erweist, bedeutet das nicht, dass jede Konstruktion bzw. „Geschichte“ dem Verständnis der Gegenüber, um die es geht, angemessen ist. „Wildgehen“ hat nichts damit zu tun, gedankenlos unterwegs zu sein. Wichtig scheint mir bei all diesen Konzepten (auch dem des konzeptlosen therapeutischen Arbeitens), dass man sich nicht breit und zufrieden darauf niederlässt, so als hätte man endgültig etwas gefunden. Deshalb bin ich froh über Infragestellungen – sie bringen den Prozess der Auseinandersetzung wieder in Gang, helfen dabei zu sagen was man vergessen hat und schaffen ein (dialektisches?) Milieu des Lernens, in dem man den anderen mit seiner so ganz anderen Perspektive wirklich braucht, um etwas herauszufinden. Bei einem bleibe ich jedenfalls: Ich bin eine Suchende, die auch das, was sie gefunden hat, bloß als Ausgangspunkt für weiteres Suchen nimmt. Und ich renne nicht blindlings durch die Gegend.
Das freie Wort des Schülers: Grenzgänge (ein Beitrag von Martin Sellner für die Netzwerke der ÖAS)
Warum erscheinen mir Grenzgänge eine eigene Wissenschaft, wenn sie von Sabine Klar vorgetragen werden? Warum kommt bei mir der Eindruck hoch, es könnte andererseits nur Faulheit sein, die richtigen Sachen zu machen, wieder ein Mal - nach Jahren der ausbildungsmäßigen Absenz – in ein Buch zu schauen, ob das was man macht, „richtig“ ist; oder noch vertretbar ist? Wenn Frau Klar ein Tetralemma vorschlägt, so erscheint mir sogar die Erklärung von Insa Sparrer als länger und komplizierter. Da scheint Wissen durch. Da scheint Weisheit durch. Da scheint Reflexion durch. Und dennoch – oder gerade deshalb – macht sie es anders. Kreativ. Bevor jeder einzelne Therapeut sich verteidigt, seine eigene Lehre zu leben möchte ich eine Lanze brechen für die Puritaner. Eine rein nach Methode vorgehende Therapeutin, ein rein nach Methode vorgehender Therapeut, der reflexiv und wissentlich eine Methode anwendet hat meinen vollen Respekt. Obwohl jede und jeder vermutlich situativ handelt; und weil vermutlich jede und jeder seinen ihr und ihm eigenen Stil hat. Doch Sie sind Kenner und Könner in ihrem Fach. Wird das Nicht-nach-Regeln-Arbeiten als Ausrede verwendet, weil man die Regeln nicht mehr kennt? Dieser Verdacht drängt sich komischerweise auf. Ich denke, kein Konzept bleibt kein Konzept. Denn frei nach Watzlawicks erstem Axiom: man kann nicht konzeptlos arbeiten. Und hier möge Konzept nicht mit Rezept sondern fehlendes Konzept mit fehlendem Rezeptbuch gleichgesetzt werden (ob ich das Rezeptbuch dann verwende oder es bei Seite lege und jeden Klienten seinen eigene Therapie – frei nach Yalom – zukommen lasse ist eine weitere, andere Diskussion). Warum erscheinen mir „Grenzgänger“ manchmal als Faule und Pfuscher, die sich an die Wahrheit, das Licht, die Lehre nur nicht mehr erinnern können; zu faul, es nachzulesen? Ohne eine eigene Wahrheit, ein eigenes Licht, eine eigene Lehre gefunden zu haben? Vielleicht weil ich letzteres fordere. Ich fordere es von jenen, die sich als Grenzgänger bezeichnen: ein reflexives Verständnis des bisherigen und einen klaren Blick in die Zukunft, auf das Neue. Dann kennt die Grenzgängerin andere Konzepte, wendet sie allerdings bewusst nicht an. Und dann gilt es für mich als das spannende Grenzgehen!
P.S.: Reflexion auf Frau Klingan: Wenn es nur die Haltung ist, ist es mE Rogers in Reinkultur. So leicht kommt man aus der Konzeptdiskussion nicht weg. Und daher führen die Methoden (Skalierungsfragen, zirkuläres Fragen) zum zumindest latent vorhandenen (Teil?-)Konzept.
Mit ihrer Kritik an konventionellen Weiblichkeitsbildern und Rollenklischees verharren die Gender-Studies bei einem alten Machtbegriff - und sind dabei längst von der Gegenwart eingeholt. Sexistische Sprüche trägt das Teeny jetzt keck auf dem T-Shirt; die Jungen lernen Nähen in der Schule. Und während der onkelhafte Chef allenfalls noch belächelt wird, ist der paternalistische Onkel längst zum Kollegen seiner Nichte geworden. - Kein Zweifel, die Insignien patriarchaler Macht haben ausgedient (und selbst mein Computer unterstreicht das Wort «patriarchal» mit rot, weil es ihn offenbar ein Fremdwort dünkt). Am Geschlechterverhältnis, so scheint es, hat sich fast alles verändert - mit Ausnahme der Unterordnung der Frauen unter die Männer. Denn immerhin ist der Chef noch ein Mann, und die knallharten Daten ökonomischer Ungleichheit scheinen sich um Geschlechterdemokratie nur wenig zu kümmern. Penis-Piercing am Nabel Es scheint, als gehe heute ein beharrliches Fortbestehen geschlechtlicher Hierarchisierung problemlos Hand in Hand mit einer eindrücklichen Aufweichung geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen: Auch wenn wir uns den silbernen Penis als Piercing an den Nabel stecken, an den wichtigsten Parametern der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wie Lohndifferenz, Verteilung der Arbeit oder Zugang zu Ressourcen ändert sich wenig bis gar nichts. Nach wie vor verdienen Frauen weniger als dreissig Prozent der Lohnsumme; obwohl sie insgesamt mehr als die Hälfte der Arbeit verrichten, ist ihre Medienpräsenz sogar rückläufig und nimmt die Gewalt gegen sie zu. Kann hier die «Dekonstruktion geschlechtlicher Identitäten» Abhilfe schaffen, wie uns ein Grossteil der gegenwärtigen Gender-Studies nahe legt? Oder sind sie gar umgekehrt selbst zum Bestandteil dieser Entwicklung geworden, die nach allem fragt, ausser eben - nach der Unterordnung der Frauen unter Männer? Ein Blick in die gegenwärtigen Forschungsprogramme von Gender-Studies im deutschsprachigen Raum macht eines deutlich: Eine erfreuliche Vielfalt von Forschungsfeldern und eine rege, meist empirisch ausgerichtete Forschungstätigkeit kontrastiert mit einer auffälligen Einförmigkeit in der Fragestellung: Ob in Pädagogik, Literatur, Sozialarbeit oder Biologie, gesucht wird, quer durch alle Sparten, nach «geschlechtlichen Konstruktionsmechanismen». Fragt sich nur, was damit tun, wenn sie einmal gefunden sind. Denn eigentlich ist das meiste ungeklärt: Was beispielsweise heisst es überhaupt zu sagen, das Geschlecht sei ein «soziales Konstrukt»? Und ist die Gender-Forschung mit ihrer Kritik an normativen Geschlechterrepräsentationen - an Weiblichkeitsbildern, Rollenklischees, Verhaltensvorgaben - nicht längst von einer neoliberalen Realität eingeholt, die die Menschen gerade nicht mehr zu einer bestimmten Lebensweise zwingt, sondern sich umgekehrt die Flexibilisierung sämtlicher Lebensbereiche auf ihre aggressiven Fahnen schreibt? «Das Leben als Projekt ist ein Experiment des Flexiblen», steht nicht etwa im deutschen Hartz-Bericht zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geschrieben, sondern in einem Kommentar der Gender-Expertin Marion Strunk zum Film «Venus Boyz» von Gabriel Bauer: Modeln wir den Body um nach unsrem Gusto, und es wird sichtbar, dass die Geschlechter gemacht sind. «Gender Game» heisst die Devise. Das Geschlecht ist ein Spiel. Doch die Gewissheit, mit dem Aufzeigen des «Konstruktionscharakters von Geschlecht» auch bereits einen machtkritischen Beitrag zu leisten, lässt bislang im Dunkeln, worin dieser denn besteht. Der Normalverbraucherin mag es deshalb nicht ohne weiteres einleuchten, warum die Pluralisierung der Geschlechter ein revolutionärer Akt sein soll. Und das liegt nicht nur daran, dass sie zu wenig Derrida gelesen hat. Die Sache ist nämlich auch theoretisch unklar. Dekonstruktion als Selbstzweck Kein Zweifel, der Begriff Gender hatte seine Nützlichkeit: Ursprünglich eingeführt zur Abwehr biologistischer Kurzschliessungen, bediente die feministische Theorie sich seiner, um klar zu machen, dass die soziale Existenzweise von Frauen und Männern sich in keiner Weise mit irgendwelchen biologischen Gegebenheiten erklären liess. Umgekehrt wies Judith Butler, die gegenwärtig wohl wichtigste Theoretikerin für den deutschsprachigen Raum, zu Recht darauf hin, dass selbst die Vorstellung von der Existenz zweier Geschlechter nicht einfach naturgegeben ist: In ihrer Erweiterung des Gender-Konzepts machte sie deutlich, dass zwischen der Annahme einer angeblich biologischen Zweigeschlechtlichkeit und dem, was sie die «heterosexuelle Matrix» nennt, ein intimer Zusammenhang besteht. Dass Identitäten beziehungsweise die damit verbundenen Weisen der «Subjektivierung» zutiefst in Macht eingebunden sind, ist eine gesellschaftstheoretische Annahme, die zweifelsohne Sinn ergibt. Doch, scheint mir, ist genau diese machttheoretische Verknüpfung aus dem Blickfeld der Gender-Studies verschwunden und damit die Fruchtbarkeit des Versuchs, Identitäten als politisches Problem wahrzunehmen. Ist es denn erwiesen, dass «Geschlechterrepräsentationen», «Weiblichkeitsvorstellungen», «Rollenverhalten», «kulturelle Codierungen» überhaupt für Prozesse geschlechtlicher Hierarchisierungen verantwortlich sind? Die Dekonstruktion geschlechtlicher Identitäten ist zu einem Selbstzweck geworden, dessen Perspektive machtanalytisch gesehen unklar bleibt: Wäre es die Vorstellung, dass die Aufhebung geschlechtsspezifischer Sozialisation auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern beseitigte? Doch mit welchem Grund würde so etwas angenommen? Ist es die Vorstellung, dass die Heterosexualität den Kapitalismus stützt? Doch wer sagt, dass homosexuelle Strukturen nicht ebenso geschlechtliche Arbeitsteilungen portierten? Und wäre es jemals einem Marxisten eingefallen, die Ausbeutung des Arbeiters auf ein «arbeiterspezifisches Verhalten», gar auf spezifische Repräsentationen «des Arbeiters» zurückzuführen? Zweifellos stand E. P. Thompson ein anderer Konstruktionsbegriff vor Augen, als er sein Buch «The Making of the English Working Class» nannte. Die Eselin am Schwanz aufzäumen Machtverhältnisse sind nicht immer und nicht notwendig auf die Machtwirkung normativer Vorgaben zurückzuführen. Doch nahezu ausschliesslich als ein Problem solcher Vorgaben wird gegenwärtig in der Gender-Forschung das Geschlechterverhältnis diskutiert. Und man verrät kein Geheimnis, wenn man sagt, dass diese Vorstellung von der «disziplinären Erzeugung der Geschlechtszugehörigkeit» wesentlich auf den Einfluss Judith Butlers zurückgeht. So fasst beispielsweise die Basler Gender-Professorin Andrea Maihofer die «Annahme des Geschlechtes», das heisst der Umstand, dass sich ein Mensch mit «seinem» Geschlecht identifiziert, als Effekt «disziplinierender Vereindeutigungs- und Vereigenschaftlichungs-Prozesse» auf, in dessen Verlauf Mädchen und Jungen lernen, mittels gesellschaftlich zur Verfügung gestellter Gefühlsmuster und Körperpraxen ihr Geschlecht überzeugend darzustellen. Die Fokussierung auf Geschlecht als einem «zentralen gesellschaftlichen Herrschaftsprinzip» mutiert hier unter der Hand zur Frage der «Annahme des Geschlechts» und diese wiederum zu einer Frage der Identifikation mit normativen Vorlagen. Aber macht es überhaupt Sinn, die Geschlechterhierarchie als eine Frage der «Annahme von Geschlecht» zu problematisieren? Und ebenso umgekehrt gefragt: Wird diese «Annahme» auch tatsächlich unterwandert, wenn lediglich deren sichtbare Insignien - Verhalten, Gestik, Bild - kritisiert und allenfalls ausgetauscht werden? Gewiss: Es gäbe keine geschlechtlichen Hierarchisierungen, wenn es keine Geschlechter mehr gäbe. Aber heisst dies nicht, die Eselin beim Schwanz aufzuzäumen? Es stellt sich deshalb die Frage, ob nicht im Zuge der Rezeption der Werke Judith Butlers ein grosser Reduktionismus in das gesellschaftstheoretische Verständnis der Gender-Studies Einzug hielt. Denn die Vorstellung von der geschlechtlichen Subjektwerdung als einem Akt der - um im Wortlaut Judith Butlers zu bleiben - «disziplinären Heranzüchtung» erscheint angesichts der grossen Integrationskraft spätkapitalistischer Gesellschaften irgendwie anachronistisch und kaum geeignet, deren Funktionsmechanismen adäquat zu erfassen. Und es ist schwer verständlich, wieso ausgerechnet jene Generation von Forscherinnen, die vermutlich als erste gerade nicht mehr mit ernst zu nehmenden normativen Vorgaben darüber, wie sie als Frauen zu sein hätten, konfrontiert sind, sich auf eine Theorie stützt, deren Formulierungen über weite Strecken eher den Papst als Gegenüber zu haben scheinen als eine Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Könnte es sein, dass die Gender-Theorie sich heute in einer ganz ähnlichen Lage befindet wie einstmals die Bewegung der sexuellen Revolution, deren Annahme, die Macht des Kapitalismus operiere wesentlich über die Unterdrückung der Sexualität, sich rückwirkend als sträflicher Irrtum erwies? Selbstführung statt Herrschaft Das Geschlecht als Disziplin, von der wir uns losmachen müssen: Und wenn es die List der Macht selbst wäre, die uns dies glauben macht? Michel Foucaults Vermutung, dass die Macht sich in ihrer tatsächlichen Wirkungsweise kaschiert, müsste hier längst misstrauisch machen. Und obwohl Foucault der Gender-Theorie in ihrer Kritik an Identitäten als wichtigster Referenzpunkt dient, wird völlig ignoriert, dass Foucault selbst diese in seinem Spätwerk gerade nicht mehr auf die Kraft normativer Vorgaben zurückführte, sondern das Zusammenspiel von Individuum und Macht grundsätzlich anders zu denken begann. Merkwürdigerweise werden diese unter dem Namen «Gouvernementalitätsstudien» zunächst in Amerika bekannt gewordenen Ansätze von den Gender-Studies kaum zur Kenntnis genommen. Foucault prägte den Begriff Gouvernementalität im Zusammenhang mit einer grundlegenden Erweiterung seiner Machtanalytik, wie er sie ab Ende der siebziger Jahre in seinen Vorlesungen zu entwickeln begann. Zwar ist es richtig, dass auch er zunächst, um die von ihm so bezeichnete «Produktivität der Macht» zu erfassen, der Vorstellung reiner Repressivität jene «Disziplinarmacht» gegenüberstellte, von der sich die Gender-Studies im Wesentlichen inspirieren liessen. Doch führte ihn seine Beschäftigung mit dem Liberalismus zur Überzeugung, dass die Machttechnologien spätkapitalistischer Gesellschaften gerade nicht mehr über klare Vorgaben operieren. In seiner dritten und letzten Schaffensperiode konzentriert sich Foucault stattdessen auf das, was er nun das Regierungshandeln nennt: eine Weise der Führung der Menschen, die diese nicht primär zwingt oder einschränkt, sondern die deren Freiheit zu ihrer wichtigsten Ressource nimmt. «Im Rahmen neoliberaler Gouvernementalität», schreibt Thomas Lemke, «signalisieren Selbstbestimmung, Verantwortung und Wahlfreiheit nicht die Grenzen des Regierungshandelns, sondern sind selbst ein Instrument und Vehikel, um das Verhältnis der Subjekte zu sich selbst und zu den andern zu verändern.» Lemke, einer der ersten Gouvernementalitätstheoretiker des deutschsprachigen Raumes, weist deshalb zu Recht darauf hin, dass Foucaults Konzentration auf Fragen des Subjekts in diesem Zusammenhang zu sehen und nicht etwa, wie oft behauptet, einem neu erwachenden Interesse an Ethik zuzuschreiben ist: Anstatt die «Machtverhältnisse» von den «Herrschaftstechniken» aus zu betrachten, wollte Foucault diese nun ausgehend von dem untersuchen, was er jetzt die «Selbsttechniken» nennt: «Man muss die Punkte analysieren», schreibt er, «an denen die Herrschaftstechniken über Individuen sich der Prozesse bedienen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt. Und umgekehrt muss man jene Punkte betrachten, in denen die Selbsttechnologien in Zwangs- oder Herrschaftsstrukturen integriert werden. Der Kontaktpunkt, an dem die Form der Lenkung der Individuen durch andere mit der Weise ihrer Selbstführung verkoppelt ist, kann nach meiner Auffassung Regierung genannt werden.» Regierung als Führen der Führungen: Mit diesem Doppelsinn des Wortes Regieren als Anführen und Sichverhalten zugleich hat Foucault also eine Machtform vor Augen, deren Subjektivierungsweise nicht auf klar fassbare Identitäten abstellt, sondern umgekehrt die Menschen gerade dazu befähigen will, sich in einem offenen Feld von Möglichkeiten stets neu und anders zu verhalten. Nicht die Anpassung oder Normierung, sondern die Verführung durch einen in Aussicht gestellten Raum unendlicher Möglichkeiten scheint hier das machtintegrierende Moment zu sein. Es lässt die Menschen die Anpassung an fortwährend drohende Gefahren als Herausforderung, die Zumutung beständiger Selbstmodulation als Selbstverwirklichung erfahren. Eine Verführung durch den Plural und eine Machttechnologie, die weitgehende Akzeptanz zu schaffen vermag: Läge es nicht näher, wenn schon, nicht die Norm, sondern allenfalls deren Kontingenz, deren Diffusität und Offenheit als das zu betrachten, was uns heute zu schaffen macht? Denn wenn, wie Foucault zu Recht vermutet, die Rationalität moderner Machtstrukturen auf der Gleichzeitigkeit von Individualisierungs- und Totalisierungsverfahren beruht, wenn mit andern Worten gerade das Individuelle machtintegrierend wirkt, dann ist die Kritik an normativen Zuschreibungen ein ebenso ohnmächtiges Instrument wie die im Namen der Individualität erhobene Forderung nach unendlicher Pluralisierung, zum Beispiel geschlechtlicher Identitäten. Neoliberaler Karneval der Identitäten Es stellt sich deshalb überhaupt die Frage, ob das dem Gender-Ansatz eigene Verständnis von Identitätskritik - die Konzentration auf die dem Bewusstsein zugänglichen Verhaltens- oder Erscheinungsweisen, auf Zuschreibungen und Bilder - nicht einen ganzen Bereich ausblendet, den die Psychoanalyse das unbewusste Begehren nennt. Aus psychoanalytischer Perspektive nämlich hat Macht über uns nicht so sehr das, was uns sichtbar einschränkt, sondern das, was unsere unsichtbaren Wünsche und Begehrlichkeiten zu formen vermag. Und dieser Bereich wird nicht notwendig von Veränderungen auf der Ebene der Normativität berührt, und die Aufhebung bewusst erlebter Einschränkungen vermag hier oft wenig zu bewirken. Es scheint, als folge die Gender-Theorie mit ihrer Kritik an normativen Repräsentanzen Butler in ihrem schwächsten Punkt. Denn psychoanalytisch gesehen, befindet sie sich damit auf der Ebene des Imaginären, der Wunschbilder also, auf der sich eben sehr viel ändern kann, ohne dass dies auch nur den geringsten Einfluss auf unsere unbewussten Einbindungen und Verstrickungen hätte. Das Unbewusste ist nicht einfach eine Kopie normativer Vorlagen, auf die Butler das Begehren letztlich auch in ihren jüngsten Werken reduziert. Es mag sich nämlich an den offen zutage tretenden Identitäten und Verhaltensweisen alles Mögliche wandeln - die heimlichen Vorlieben, jene privilegierten Orte, die in meinem Empfinden mir einzig Wert und Anerkennung zu geben vermögen, bleiben davon weitgehend unberührt. Und erst recht scheint die gesellschaftliche Organisation bestimmter Zuständigkeiten sich um solche Veränderungen nicht gross zu kümmern: Die Vielfalt der - sich teilweise geradezu ausschliessenden - Bilder von der «guten Mutter» beispielsweise, die nur schon die letzten hundertfünfzig Jahre uns bescherten, ohne dass sich Wesentliches an ihrer alleinigen Zuständigkeit für die Kinderpflege geändert hätte, lässt an der Relevanz von Bildern zweifeln. Doch allenfalls erhellt sich daraus die Attraktivität des Konzepts von Gender: Wäre es die Hoffnung, als Norm möge sich das Geschlechterverhältnis doch noch als handhabbar erweisen? Doch offensichtlich ist dies eine Unterschätzung der Mechanismen, die hier am Werke sind. Anstatt deshalb am neoliberalen Karneval der Identitäten teilzunehmen, täten die Gender-Studies besser daran, auf das diesem Treiben zugrunde liegende Subjektkonzept zu achten. Hier nämlich setzt sich kaum verhohlen ein altes Allmachtsideal durch, für dessen «Abfall» traditionellerweise schon immer Frauen zuständig waren: Sie sind es, die heute die Reste der flexibilisierten Familie zusammenhalten und die globalisierten Kinder trösten, wenn diese nach dem zehnten Umzug die Sprache im neuen Kindergarten wieder nicht verstehen. Und sie waren es schon immer, die in einer zunehmend ungastlichen Welt für den sozialen Kitt und oft auch schlicht fürs blanke Überleben sorgten. Dass sich das Leben in dieser Weise deregulieren lasse, ist eine Allmachtsphantasie; aber die Kosten, die bei der Aufrechterhaltung dieses Phantasmas von der totalen Verfügbarkeit - diesem Autonomieideal mit seiner Verleugnung und Verachtung von Abhängigkeit, Bezogenheit und Verletzbarkeit - anfallen, diese Kosten werden nicht von beiden Geschlechtern gleichermassen getragen. Und diese Asymmetrie verwischt die Rede vom sozialen Konstrukt, die beide Geschlechter gleichermassen adressiert. Für eine Kritik dieses abendländischen Subjektmodells, dessen Geschlechterasymmetrie allen Unkenrufen zum Trotz Bestand hat, genügt die Beschwörung der «sexuellen Differenz» als der «unabschliessbaren Frage» schlechthin, wie die Philosophin Astrid Deuber-Mankowsky, Philosophin und Kulturwissenschaftlerin, in Anlehnung an Butler uns nahe legt, nicht. Das ist nicht Sand ins Getriebe des Patriarchats, sondern Sand in die Augen der letzten noch verbleibenden Feministinnen gestreut. Sind die noch zeitgemäss, fragt Andrea Maihofer. Vielleicht sind sie das nicht - im besten Sinne.
Die Autorin:Tove Soiland ist Historikerin mit Schwerpunkt feministische Theorie und arbeitet in der feministischen Erwachsenenbildung.
Literatur: Butler, Judith: «Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung». Frankfurt a. M. 2001. Butler, Judith: «Antigones Verlangen. Verwandtschaft zwischen Leben und Tod». Frankfurt a. M. 2001. Foucault, Michel: «About the Beginning of the Hermeneutics of the Self. Two Lectures at Dartmouth». In: «Political Theory», Vol. 21 (1993), No. 2. London / New Delhi. Lemke, Thomas / Krasmann, Susanne / Bröckling, Ulrich: «Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologie. Eine Einleitung». In: Dies. (Hrsg.): «Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen». Frankfurt a. M. 2000. Maihofer, Andrea: «Von der Frauen- zur Geschlechterforschung: Ein Schritt zurück?» In: Oliver Brüchert / Christine Resch (Hrsg.): «Herrschaft und Befreiung. Kulturelle, politische und wissenschaftliche Strategien». Münster 2002. Strunk, Marion (Hrsg.): «Gender Games». Konkursbuch 39. Tübingen 2002. Deuber-Mankowsky, Astrid: «Geschlecht als philosophische Kategorie». In: «Die Philosophin», Nr. 23, Mai 2001.
Feminismus versus Gender? Die Replik einer Gendertheoretikerin Die Gleichzeitigkeit des Verschiedenen Marion Strunk Sagt jemand, das Spiel mit den Geschlechtern sei schon alles? Spielen heisst doch probehandeln. Versuchen, scheitern, verlieren, gewinnen, mit allen Schattierungen, die dazwischen liegen. Ein ernsthaftes Spiel bringt immer etwas hervor, sei es Einsicht oder Erkenntnis, Freude oder Verzweiflung. Und alle Spielenden wissen: Ein Spiel kann auch verdorben werden. Der Proberaum ist nur so lange Schutz- und Schonraum, als die Spielenden die Bedingung kennen und wissen, es darf frei nach der Methode von «trial and error» immer wieder neu begonnen werden. Daraus folgt, dass auch das Spiel um die Geschlechter, um das es hier geht, ein Prozess ist und kein Rezept. Das Fressen vor der Moral Mit einem «Aufruf zur theoretischen Reflexion» eröffnete Tove Soiland erneut die Debatte um «die Rede vom sozialen Konstrukt», diesmal verbunden mit einer Kritik an der institutionalisierten Geschlechterforschung, den Gender-Studies. Diese versäumten, «mit dem Aufzeigen des Konstruktionscharakters von Geschlecht auch bereits einen machtkritischen Beitrag zu leisten», bedienten einen «neoliberalen Karneval der Identitäten» und seien dabei längst «von einer neoliberalen Realität eingeholt» worden. «Das Spiel mit den Geschlechtern» entspreche demnach dem neoliberalen Wirtschaftskurs und seinen eingeforderten flexiblen Menschen: Flexibilität als das Zauberwort der globalen Marktwirtschaft - immer bereit, sich auf jeden Wechsel einzulassen, an der Arbeitsstelle, am Arbeitsort, in der Arbeitsform, aber unbrauchbar für Veränderung und «politisches Handeln». Dem Spiel mit den Geschlechtern geht der Diskurs der Konstruktion/Dekonstruktion voraus (das Zauberwort der achtziger Jahre), der dieses Spiel in den Kontext der Geschlechterdifferenz stellt, also die Geschlechtlichkeit als sozial und kulturell konstruiert versteht und damit der Vorstellung einer organisch wirkenden Sexualität widerspricht. Das Spiel mit den Geschlechtern folgt der Einsicht in die zahlreichen Möglichkeiten von Subjektivität und Individualität, die aus den Gender- theorien entstehen können. Allerdings macht das Spiel auch klar, dass es keine machtfreie Zone geben kann und keine Kommunikationsform, die nicht zugleich ein Machtgefälle wäre. Die klassischen Dualismen wie Natur/Kultur, Frau/Mann, Körper/Geist haben bekanntlich auf Totalität und gesellschaftliche Dauer abgezielt - die Ursache der bestehenden Machtverhältnisse sind sie aber nicht. Damit ist nicht gemeint, dass eine Subjektposition «Frau» nicht mehr eingenommen werden soll. Nur: Im Namen der Frau zu sprechen, verlangt eine fortlaufende Differenzierung und Kontextualisierung. Die Kritik an der Repräsentation (dem Sprechen für andere) ist zugleich Kritik am vereinnahmenden Begriff der Universalität. Die Setzung Mann/Frau zu dekonstruieren meint dann, die soziale Gewordenheit wahrzunehmen und für diese Wahrnehmung einen Ausdruck zu finden. Das kann nicht bedeuten, die «Materialität der Körper» ausser Acht zu lassen (siehe Judith Butler: «Kontingente Grundlagen», deutsch 1993). Aber Körper haben an sich noch keine Bedeutung, sie müssen medial vermittelt werden, als demografisches, ethnisches, medizinisches, sexuelles oder anderes Spezifikum, das sich mithin semantisch «auflädt». Trotzdem kann die Setzung Mann/Frau dem gesellschaftlichen Widerspruch von Gleichheit und Gleichstellung nicht entrinnen. Doch weder das einzelne Geschöpf noch die soziale Ordnung kann ursächlich der Anlass dafür sein. Vielmehr ist es die Verstrickung und gegenseitige Abhängigkeit in einer «conditio humana», die das Fressen vor die Moral stellt. Mithin wäre es eine überholte, da idealistische Annahme, der Diskurs von Gender könne auf ökonomische Fragen wie «Lohndifferenz, Arbeitsteilung oder Zugang zu Ressourcen» (Soiland) unmittelbar einwirken. Dafür bräuchte es die Umsetzung jener Utopien, von denen wir weiter denn je entfernt sind, 150 Jahre nach Marx und Engels, dreissig Jahre nach 68 und ein halbes Jahrtausend nach Thomas Morus’ «Utopia». Zu kurz greift Soilands Argument, wenn es sich auf eine einzige Position, und die Kritik an Gender-Studies auf den scheinbar falsch verstandenen Machtdiskurs von Judith Butler abstützt, die den späten Foucault nicht gelesen habe und deshalb am juridischen Machtbegriff des frühen Foucault hängen bleibe. Das mag für Butlers Arbeit aus den neunziger Jahren zutreffen, wird jedoch von der Publikation ihrer Frankfurter Vorlesungen 2002 widerlegt («Kritik der ethischen Gewalt» ist ja gerade die Auseinandersetzung mit dem Spätwerk Foucaults). Selbst wenn nicht von der Hand zu weisen ist, dass Butlers Diskurstheorie weniger eine Gesellschaftsbeschreibung entwickelt als vielmehr den Versuch, Subjektivität zu thematisieren und zu differenzieren, kann ihr die grundsätzlich politische Motivation nicht abgesprochen werden. Und ebenso wenig den Gender-Studies, wie sie Butler vorführt. Sie schlägt, vermittelt über Parodie und Ironie, die Haltung der Subversion vor, die innerhalb von revolutionären Bewegungen - man denke zum Beispiel an Comandante Marcos in Chiappas - durchaus Schlagkraft besitzt. Die Gender-Studies selber sind keine soziale Bewegung, wie es etwa der Feminismus war, sondern ein Studium, das in einem spezifischen Sinn Kulturkritik und Kritikkultur betreibt. Schöpferisches Gegengift Konstruktion/Dekonstruktion kann als Verfahren gelten, diese Kritik aufzunehmen. Das Begriffspaar verweist auf das Entwerfen und Gestalten, auf den Auf- und Umbau. Sein Thema ist nicht nur die Veränderbarkeit von «Wirklichkeit» via Fakten, sondern die Veränderung der Frage selber. Daraus folgt: Was gemacht worden ist, kann verändert werden. «Weder bringt die Norm das Subjekt als notwendige Wirkung hervor, noch steht es dem Subjekt völlig frei, die Norm zu missachten, die seine Reflexion in Gang setzt; jede Handlungsfähigkeit, auch die der Freiheit, steht in Bezug zu einem ermöglichenden und begrenzenden Feld von Zwängen», schreibt Judith Butler («Kritik der ethischen Gewalt», 2003, S. 28). Was sich differenzieren lässt in individuelle, gesellschaftliche, bewusste und unbewusste Zwänge. Es geht um Handlungsmöglichkeiten, also darum, Varianten zu entwickeln, die eine Alternative zu den Vorgaben bilden, und das ist immer auch eine Frage von Identität und Macht, wie sie im Kontext der Vorgaben erscheint. Die Betonung liegt auf den Unterschieden, dem Unterscheiden, der Hervorbringung des Unterschiedes, und der Zweck besteht darin, diesem Prozess des Unterscheidens (Differenz) Ort und Raum (Darstellung und Sichtbarkeit) zu schaffen. Solches Handeln kann sich nicht auf das «Ganze» richten wie der utopische Entwurf, das hiesse, das Handeln zu instrumentalisieren. Handlungen geschehen situativ und kontextuell, besonders wenn sie innovativ sein wollen. Ihre visionäre Kraft entwickeln sie in der Intensität, mit der sie geschehen. Entscheidend für das Verfahren Konstruktion/ Dekonstruktion innerhalb der Gender-Studies ist gerade die Verhinderung von Ideologie und Fundamentalismus durch die Entwicklung eines Gegenmodells oder einer Art von schöpferischem Gegengift. Ambivalenz des Dazwischen Das aufklärerische Postulat der Selbstbestimmung, der Subjektentwurf der Moderne, hat suggerieren können, es gebe ein Ausserhalb, von wo aus Widerspruch und Widerstand entwickelt werden könnten. Die heutige Herausforderung ist die Arbeit innerhalb der Gegebenheit, im Verzicht auf das utopische Ausserhalb, aber nicht ohne nach Veränderbarkeit zu trachten. In diesem Kontext mag der Begriff der Ambivalenz jene Lesarten eröffnen, die für eine «Strategie der Gleichzeitigkeit» relevant sein können. Ambivalenz wird hier also mit Unentscheidbarkeit übersetzt, was nicht Abstinenz bedeuten soll. Ambivalenz formuliert ein Dazwischen, das sich vom Entweder/Oder, Weder/Noch entfernt und ein Sowohl-als-auch einbringt, und damit Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit fordert. Denn: Machtausübung und Machterleiden müssen sich nicht notwendigerweise ausschliessen. Der Kontext, die Situation entscheidet über die Ausrichtung und eröffnet möglicherweise jenes Handeln, das Theodor W. Adorno unter «produktivem Widerspruch» verstand. Die Flexibilität (nach Richard Sennett) könnte eventuell auch dazu dienen, dem viel gepriesenen neoliberalen Markt das Futter zu entziehen, statt es ihm zu liefern, doch kann sie ebenso wenig als Diktat gemeint sein wie die Gender-Theorie. Ausserdem hat der Markt zu jeder Zeit das Subjekt, ob flexibel oder stabil, ausgeweidet und gefressen, denn der Markt ist älter als der Neoliberalismus. Aus der Sprache der Ökonomie könnte ebenso die foucaultsche «Selbsttechnologie» als Selbstmanagement entstehen, also die Ich-AG mit dem Leitsatz: «Regiere dich selbst!» Hierarchie in der Arbeitswelt aufheben und dezentralisierte Netzwerke bilden, das wäre das aktuelle wirtschaftliche Credo. Fluide Subjekte für fluide Märkte oder auch «managing diversity». Das neue Modell von Fiat heisst Multipla. Kann ein Label aber ein Argument dagegen sein, Flexibilität anders und besser zu nutzen? Flexibilität könnte ja auch Handlungspotenzial bedeuten, nutzbar für eine kreative Anwendung. Die «Gouvernementalitätsstudien» Foucaults, auf die sich der kritische Einwand von Tove Soiland gegen die Gender-Studies bezieht, sind ja gleichermassen in die neoliberale Variante des Marktes eingegangen. Eigenverantwortung und Selbstsorge werden dabei als geschlechtsneutrales Konzept angeboten, um zu einer Neuauflage von Individuierungspraxis zu werden, die dann allerdings wiederum das autonome Subjekt der Moderne bestätigt, und was wäre das anderes als das männliche (siehe Katharina Pühl, Susanne Schulz, 2001). Ich möchte behaupten, dass die neue Generation mit Flexibilität anders umzugehen weiss, weil sie in der heterogenen, multiplen Wirklichkeit neue Möglichkeiten der Entfaltung erkennt, die sich für die Gleichzeitigkeit des Verschiedenen interessiert. Ganz abgesehen davon, dass das Konzept der multiplen Identitäten die Brüchigkeit der klassischen Begriffe von Nation, Klasse, Rasse verdeutlicht hat, bezeichnet es positiv, dass sich Individuation aus verschiedenen Bezügen und Verortungen erschliesst, von denen different Gebrauch gemacht werden kann, insbesondere in der Konfrontation der Kulturen (man denke etwa an ein dunkelhäutiges Gesicht, aus dem ein breites Züridüütsch spricht). Die Frage bleibt, wie mit Unsicherheiten umzugehen ist, angesichts des Falls eines Kultur- und Gesellschaftsverständnisses, das Sicherheit anzubieten vorgab und, solange der Sozialstaat währte, diese teilweise auch einzuhalten vermochte. Wie können die Unterschiede, Verschiedenheiten, Flexibilitäten jenseits von Vereinnahmung, Missbrauch, Hierarchisierung in der heutigen Gesellschaft Raum gewinnen, als ein «in between space» (Homi Bhabha, 1994)? Und wie können Gleichzeitigkeit und Vielstimmigkeit ein Handeln motivieren, das politisch ist im Sinne von Einflussnahme, Einmischung? Im Bewusstsein, dass die plakative Subversion von einer agilen Marktstrategie stets vereinnahmt und zur eigenen Optimierung verwendet wird? Die Genderforschung ist also zweifellos mit der Aufforderung konfrontiert, den paradoxen Zusammenhang von Flexibilität und Stabilität der Geschlechterordnung zu diskutieren, sprich: «doing gender» und «undoing gender» wahrzunehmen. Für ein Leben in der Schwebe Die Gender-Studies, eine vergleichsweise junge Wissenschaft, haben sich zur Aufgabe gemacht, die nach wie vor bestehende Geschlechterhierarchie in Theorie und Praxis kritisch aufzunehmen und sie zu einem Forschungsgegenstand mit praktischen Anwendungsmöglichkeiten zu machen. Innerhalb von Bildungsinstitutionen sollen sie eine Ausbildung ermöglichen und Kompetenzen vermitteln, die eine berufliche Praxis eröffnen. Sie schliessen sich damit dem wissenschaftlichen Standort an, wie er zunächst in den Geistes- und Kulturwissenschaften ebenso erkundet wurde wie die feministischen Studien. Von diesen unterscheiden sich die Gender-Studies zwar in spezifischen Fragestellungen, sie können sie aber durchaus als Forschungsfeld einschliessen, ebenso wie die Queer-Theorien, postkolonialen Theorien oder Medientheorien, woraus eine fruchtbare Interdisziplinarität entstehen soll. Die kulturwissenschaftlich orientierten Gender-Studies, wie sie die HGK Zürich anbietet, legen den Fokus auf die Analyse der «Visuellen Kultur», auf deren Medien und ihre Kommunikation. Sprache und Bilder reagieren auf Machtverhältnisse, sie transferieren sie durch Darstellung, sie bringen sie nicht, wie Soiland moniert, selber hervor. Geschlecht als soziale (sozioökonomische) Strukturkategorie fungiert dabei höchst wirksam als Platzanweiserin. Es kann jedoch von einer Ausbildung höchstens verlangt werden, dass sie Methoden und Verfahrensweisen bereitstellt, die von der Veränderbarkeit durch Kritik ausgeht, und so Veränderung von Wissen ermöglichen. Eine soziale oder gar politökonomische Bewegung kann sie nicht sein. Weil Ausbildung Vermittlung ist, nicht Vorschrift oder Anleitung. Diese will mit Gender-Studies ein umfassendes Spektrum von Handlungsräumen eröffnen, die für ein derzeitiges und künftiges «Leben in der Schwebe» produktiv sein sollte. Autorin Marion Strunk ist Kulturwissenschaftlerin, Künstlerin. Studienleiterin Nachdiplomstudium Gender Studies in Kunst, Medien und Design an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich. Literatur Homi Bhabha: Verortung der Kultur. Tübingen 2000. Judith Butler: Kritik der ethischen Gewalt. Frankfurt a. M. 2003. Judith Butler: Kontingente Grundlagen. In: Seyla Benhabib, Judith Butler u.a. (Hg.): Der Streit um die Differenz. Frankfurt a. M. 1993. Isabell Lorey: Immer Ärger mit dem Subjekt. Tübingen 1996. Katharina Pühl, Susanne Schulz: Gouvernemetalität und Geschlecht. In: Sabine Hess, Romana Lenz (Hg.): Geschlecht und Globalisierung. Königstein 2001. Die Philosophin: Gender Studies und Interdisziplinarität. Nr. 23, Mai 2001.
Liebe Kolleginnen, weiter unten das Protokoll von unserem letzten Treffen
am 10.09.2008 da waren: Gabriele, Hedi, Michi, Sabine und Verena
Zuerst die naechsten beiden Termine: Mittwoch 22. Oktober, 18:30 Mittwoch 3. Dezember, 18:30
Am Programm stand Brainstorming für etwaige Projekte der AG: * Projekt 1 lautet: Interviewserie mit Systemikerinnen, die sich (auch) mit feministischen Themen beschaeftigt haben … auf die Idee kamen wir, weil Michi Muehl naechste Woche zu einem Seminar von Marie-Luise Conen faehrt und im Herbst auch noch nach Heidelberg zu Andrea Ebbecke-Nohlen. Michi wird die beiden fragen, ob sie bereit waeren, uns schriftlich einige Fragen zum Thema Feminismus und Therapie zu beantworten. Bis zum naechsten Treffen ueberlegt sich jede von uns einige Fragen, die sie an die beiden haette – wir erstellen dann naechstes Mal so was wie einen „Leitfaden“. Das Ergebnis dieser Interviews wird in den netzwerken abgedruckt werden. Danach kontaktieren wir vielleicht auch noch andere Frauen, z.B. Welter-Enderlin. * Projekt 2: Historisches Frauenprojekt, Idee von Hedi: Sehr schnell wird deutlich, wie viel Arbeit das (in welcher Form auch immer) bedeuten wuerde und die Frage waere dann, wer moechte und kann sich auch dermaßen (Literaturrecherchen und -lektuere, Verfassen von Texten, Organisation von Tagungen samt Finanzaquise, etc.) engagieren. Kleinster gemeinsamer Nenner wird eine kleine Frauenportraet-Ausstellung in der OeAS, mit z.B. 5 Portraets & darueber/danach dann ein Fachartikel. Ueber diese Idee fangen wir an, Namen von systemischen Theoretikerinnen zu sammeln, die manche von uns kennen & die mitunter seltsamerweise von der Bildflaeche verschwunden sind, z.B. Marianne Kruell, Lynn Hoffmann. Und wir schauen einige wichtige feministische Publikationen aus der Bibliothek durch. Vorerst schnuppern wir mal so herum und schauen, wer sich fuer welche Frau (inhaltlich) interessiert. In diesem Zusammenhang entspinnen sich Diskussionen rund um die Publikationsaktivitaeten von Frauen bzw. die Dominanz von maennlichen Figuren in systemischen Fachkreisen.
Liebe KollegInnen, nun das dieses Mal etwas kuerzere Protokoll unserer letzten Sitzung: vorweg zwei wichtige Punkte > Nächstes Treffen: Donnerstag 26. Juni 2008 um 18:30, wie immer am IEF, Praterstr. 40. > Beiliegend ein Text von Tove Soiland: "Ein Aufruf zur theoretischen Reflexion. Das Spiel mit den Geschlechtern - eine Sackgasse?"
Verena schlaegt beiliegenden Text fuer naechstes Mal zur Diskussion vor. Ergaenzend moechte ich dazu sagen, dass ich einen Fokus in bezug auf die Diskussion des Artikels gut faende ... im Sinne von: Was hat das damit zu tun, was wir wie (oder auch nicht) in unseren Therapien denken/machen/wollen? Also eine Zusammenfuehrung der Theorie & unseres praktischen Tuns, wenn das geht!?
Bei unserem Treffen vom 23.4. stand eine Zitatesammlung von Mary Wollstonecraft (aus "A Vindication of the Rights of Women"), zusammengestellt von Elisabeth Klar, und - was die meisten von uns etwas ueberforderte - in 18th century English. Dazu kam es über eine fruehere Diskussion in unserer Runde betreffend des Einsatzes von "typisch weiblichen Strategien" (u.a. stylingtechnische Verführungskünste) und ob die nun den Anliegen von Frauen schaden od. ob - inmitten einer ziemlich ungerechten Gesellschaft - mit allen Mitteln gekämpft werden duerfe/solle.
So viel sei verraten, Wollstonecraft war eindeutig der Meinung, dass das Mitspielen der Frauen beim "Hofieren und Komplimentieren" ihrem Geschlecht schade - die ritualisierten Interaktionen zwischen Männern und Frauen (wir befinden uns in der englischen Oberschicht, dies sei noch erwähnt), wo den Frauen suggeriert wird, sie wären anbetungswürdige "Angels", denen man Türen öffnen, Fächer und Riechsalz reichen müsse, hätten eine tückische Kehrseite: Als eigenständig denkende Menschen könnten sie nicht ernstgenommen werden & jemand, der sich nicht selbst Türen aufmache(n) (könne), kann auch als schwächlich oder behindert ausgegrenzt und ausgeschlossen werden. Letztlich waren oder sind diese Rituale dazu angetan, Männern zu versichern, sie wären überlegen, stark, Beschützer, Retter, Verführer, geniale Denker oder Künstler ... also all diese männlichen Rollen kann es nicht ohne ein Gegenüber geben, welches schwach, passiv, unterlegen, beschützenswert, zuhörend, bewundernd dem männlichen Protagonisten das Publikum macht.
Wollstonecraft war eine scharfsinnige Beobachterin der Geschlechtermaskeraden und -hierarchien ihrer Zeit und pikanterweise ist so manche Argumentation auch auf die Gegenwart uebertragbar. Zumindestens erschienen mir beim Lesen der Zitate einige Paare vor meinem geistigen Auge. Ich habe ein paar Zitate herausgesucht, die mir persoenlich besonders gut gefielen: " I have endeavoured," says Lord Chesterfield, "to gain the hearts of twenty women, whose persons I would not have given a fig for." "The illegitimate power which they obtain by degrading themselves is a curse..." (mit "they" sind die Frauen gemeint) "But women are very differently situated with respect for each other – for they are all rivals." Letzteres behauptet u.a. auch Luce Irigaray.
liebe kolleginnen, auf wunsch einiger von uns haben wir unsere treffen von dienstag auf mittwoch verlegt. unser nächstes treffen findet am
mittwoch, den 23. april 2008 um 18.30 im ief
statt.
elisabeth klar hat angeboten, einige textstellen von mary wollstonecraft shelley (einer feministin des 18. jahrhunderts) zu bringen, die auch aus heutiger sicht stoff für diskussionen hergeben. (elisabeth, du warst ja beim termin-ausmachen nicht dabei, hoffentlich kannst du kommen am 23. april!)
nachlese der letzten sitzung: anwesend waren: anita fodor, sabine kirschenhofer, marion herbert, hedwig wagner, corina ahlers, claudia renner, verena kuttenreiter
corina hat für uns ein kapitel aus david schnarchs "die psychologie sexueller leidenschaft" ausgewählt, das wir vorher gelesen haben. heftige kritik wurde geäußert an schnarchs sehr direktiver, konfrontativer, expertenhafter vorgehensweise, die aus unserer sicht schwer vereinbar ist mit unseren "gelernten" systemischen prämissen. ein vorwurf war auch, dass er das modell der langzeitehe präferiert und beziehungserhaltend arbeitet. was meiner ansicht nach damit zusammenhängt, dass er ein entwicklungsmodell vertritt, in dem schnelle trennungen nicht zur (anzustrebenden) differenzierung des individuums führen, sondern die probleme vermutlich eher wiederholt werden.
mir persönlich hat am text gut gefallen, dass er dafür sensibiliert, wie wir als therapeutInnen möglicherweise dazu beitragen, den klientInnen vor der lösung ihrer konflikte zu schützen und ihnen damit abzunehmen, dass sie sich bestimmten fragen und situationen vielleicht stellen müssen. (zb wenn die frau verheiratet sein möchte mit einem mann, von dem sie möchte, dass er sie begehrt, sie aber nicht mit ihm schlafen möchte).
bei der interpretation vieler handlungen als sadistisch bin ich mir unschlüssig: ich interpretiere sie meistens als handlungen aus ängsten heraus - aber vielleicht ist das auch zu naiv gedacht? manchmal wollen wir dem partner/der partnerin ja wirklich einfach eins auswischen oder uns rächen oder ihm/ihr was böses tun um unsere machtposition wiederzuerlangen oder zu festigen ...
eine kritik aus feministischer sicht ist meiner ansicht nach angebracht, da eine gewissen schieflage auffällt: die frau im fallbeispiel wird viel mehr bearbeitet als der mann, ihr muss offenbar massiver zu ihrer differenzierung "verholfen" werden - beim mann vollzieht sich diese gewissenmaßen nebenbei, während schnarch vor allem den therapeutischen prozess mit der frau schildert. könnte das etwas mit dem von sabine und mir festgestellten ungleichgewicht: therapeut wendet sich mehr der klientin, therapeutin wendet sich mehr dem klienten zu - zu tun haben? (siehe unser forschungsprojekt "die wirksamkeit des unsichtbaren") oder damit, dass frauen auf grund ihrer sozialisation was aufzuholen haben in sachen differenzierung ihres selbst? weil sie immer schon mehr auf andere bezogen denken und fühlen und handeln? sprich: immer den anderen/die andere mitlaufen haben, wenn sie sich selbst denken? und schnarch dann, wenn differenzierung das ziel ist, bei der frau mehr zu arbeiten hat? vielleicht auf mehr "widerstand" stößt?
aus gegebenem anlass heute ein paar anmerkungen von mir zum ablauf unserer treffen: wir waren - erfreulicherweise !! - recht viele das letzte mal. und viele von uns haben auch viel zu sagen - was leider dazu geführt hat, dass immer wieder unterbrochen und ganz schön viel durcheinandergeredet wurde.
ich würde folgendes vorschlagen: 1.) jede achtet darauf, dass sie ihre redebeiträge auf die wesentlichen gedanken beschränkt und nicht zu lange redet. 2.) dadurch sollte es leichter fallen, einander nicht zu unterbrechen. 3.) vielleicht überlegen wir uns eine moderation - um es ein bißchen zu strukturieren. 4.) ein wunsch von mir ganz persönlich: ich mag ausführliche fallgeschichten dann, wenn sie angekündigt und ausgemacht sind und wir uns dann alle einer fallgeschichte widmen. sei es als eine art intervision aus feministischer sicht oder um eine theoretische diskussion einzuleiten oder zu veranschaulichen.
im fluss einer diskussion - als illustration eines gedankens oder einer these - reicht, finde ich, eine kurze darstellung ohne detaillreiche schilderungen. sonst ist es eine unklare mischung aus intervision und theoretischer auseinandersetzung, die verwirrend und für mich anstrengend ist. weil fallgeschichten zuhören für mich arbeit darstellt und kein vergnügen. ich finde also, wir sollten das im vorhinein klar ausmachen um was es gehen soll.
wenn ihr meinungen dazu habt, bitte gerne an alle mailen. ansonsten freue ich mich wie immer aufs nächste mal und wünsche euch noch schöne wochen bis dahin
liebe kolleginnen, auf wunsch einiger von uns haben wir unsere treffen von dienstag auf mittwoch verlegt. unser nächstes treffen findet am
mittwoch, den 23. april 2008 um 18.30 im ief
statt.
elisabeth klar hat angeboten, einige textstellen von mary wollstonecraft shelley (einer feministin des 18. jahrhunderts) zu bringen, die auch aus heutiger sicht stoff für diskussionen hergeben. (elisabeth, du warst ja beim termin-ausmachen nicht dabei, hoffentlich kannst du kommen am 23. april!)
nachlese der letzten sitzung: anwesend waren: anita fodor, sabine kirschenhofer, marion herbert, hedwig wagner, corina ahlers, claudia renner, verena kuttenreiter
corina hat für uns ein kapitel aus david schnarchs "die psychologie sexueller leidenschaft" ausgewählt, das wir vorher gelesen haben. heftige kritik wurde geäußert an schnarchs sehr direktiver, konfrontativer, expertenhafter vorgehensweise, die aus unserer sicht schwer vereinbar ist mit unseren "gelernten" systemischen prämissen. ein vorwurf war auch, dass er das modell der langzeitehe präferiert und beziehungserhaltend arbeitet. was meiner ansicht nach damit zusammenhängt, dass er ein entwicklungsmodell vertritt, in dem schnelle trennungen nicht zur (anzustrebenden) differenzierung des individuums führen, sondern die probleme vermutlich eher wiederholt werden.
mir persönlich hat am text gut gefallen, dass er dafür sensibiliert, wie wir als therapeutInnen möglicherweise dazu beitragen, den klientInnen vor der lösung ihrer konflikte zu schützen und ihnen damit abzunehmen, dass sie sich bestimmten fragen und situationen vielleicht stellen müssen. (zb wenn die frau verheiratet sein möchte mit einem mann, von dem sie möchte, dass er sie begehrt, sie aber nicht mit ihm schlafen möchte).
bei der interpretation vieler handlungen als sadistisch bin ich mir unschlüssig: ich interpretiere sie meistens als handlungen aus ängsten heraus - aber vielleicht ist das auch zu naiv gedacht? manchmal wollen wir dem partner/der partnerin ja wirklich einfach eins auswischen oder uns rächen oder ihm/ihr was böses tun um unsere machtposition wiederzuerlangen oder zu festigen ...
eine kritik aus feministischer sicht ist meiner ansicht nach angebracht, da eine gewissen schieflage auffällt: die frau im fallbeispiel wird viel mehr bearbeitet als der mann, ihr muss offenbar massiver zu ihrer differenzierung "verholfen" werden - beim mann vollzieht sich diese gewissenmaßen nebenbei, während schnarch vor allem den therapeutischen prozess mit der frau schildert. könnte das etwas mit dem von sabine und mir festgestellten ungleichgewicht: therapeut wendet sich mehr der klientin, therapeutin wendet sich mehr dem klienten zu - zu tun haben? (siehe unser forschungsprojekt "die wirksamkeit des unsichtbaren") oder damit, dass frauen auf grund ihrer sozialisation was aufzuholen haben in sachen differenzierung ihres selbst? weil sie immer schon mehr auf andere bezogen denken und fühlen und handeln? sprich: immer den anderen/die andere mitlaufen haben, wenn sie sich selbst denken? und schnarch dann, wenn differenzierung das ziel ist, bei der frau mehr zu arbeiten hat? vielleicht auf mehr "widerstand" stößt?
aus gegebenem anlass heute ein paar anmerkungen von mir zum ablauf unserer treffen: wir waren - erfreulicherweise !! - recht viele das letzte mal. und viele von uns haben auch viel zu sagen - was leider dazu geführt hat, dass immer wieder unterbrochen und ganz schön viel durcheinandergeredet wurde.
ich würde folgendes vorschlagen: 1.) jede achtet darauf, dass sie ihre redebeiträge auf die wesentlichen gedanken beschränkt und nicht zu lange redet. 2.) dadurch sollte es leichter fallen, einander nicht zu unterbrechen. 3.) vielleicht überlegen wir uns eine moderation - um es ein bißchen zu strukturieren. 4.) ein wunsch von mir ganz persönlich: ich mag ausführliche fallgeschichten dann, wenn sie angekündigt und ausgemacht sind und wir uns dann alle einer fallgeschichte widmen. sei es als eine art intervision aus feministischer sicht oder um eine theoretische diskussion einzuleiten oder zu veranschaulichen.
im fluss einer diskussion - als illustration eines gedankens oder einer these - reicht, finde ich, eine kurze darstellung ohne detaillreiche schilderungen. sonst ist es eine unklare mischung aus intervision und theoretischer auseinandersetzung, die verwirrend und für mich anstrengend ist. weil fallgeschichten zuhören für mich arbeit darstellt und kein vergnügen. ich finde also, wir sollten das im vorhinein klar ausmachen um was es gehen soll.
wenn ihr meinungen dazu habt, bitte gerne an alle mailen. ansonsten freue ich mich wie immer aufs nächste mal und wünsche euch noch schöne wochen bis dahin